Autor: Kevin A. Johnson

Das Produkthaftungsrecht in Kanada

Das Produkthaftungsrecht gehört in Kanadas föderalistischem System überwiegend in den Kompetenzbereich der einzelnen Provinzen. Dabei bleiben bestimmte Aspekte jedoch der bundesstaatlichen Zuständigkeit vorbehalten. Die Umsetzung und Anwendung der jeweiligen Gesetzgebung zum Produkthaftungsrecht innerhalb der kanadischen Common-Law-Provinzen (neun von zehn der Provinzen Kanadas) ähnelt sich dabei jedoch sehr. Auch wenn in Québec, der einzigen zivilrechtlichen Provinz Kanadas, unterschiedliche rechtliche Ansätze existieren, so sind diese den rechtlichen Regelungen der Schwester-provinzen mit anglo-amerikanischer Rechtstradition doch sehr ähnlich.

Als stellvertretendes Beispiel für die übrigen Provinzen wird sich dieser Artikel mit dem Produkthaftungsrecht in der Common-Law-Provinz Ontario beschäftigen. In Ontario lassen sich Ansprüche im Produkthaftungsrecht hauptsächlich auf der Basis von drei rechtlichen Grundlagen herleiten: aus gesetzlichen Verpflichtungen im Produkthaftungsrecht, aus Vertragsrecht und aus deliktischer Haftung („tort“).

Gesetzliche Verpflichtungen im Produkthaftungsrecht

Das gesetzliche Produkthaftungsrecht Ontarios ist im Wesentlichen in drei Gesetzen kodifiziert: dem International Sale of Goods Act (Gesetz zum internationalen Warenverkauf), dem Sale of Goods Act (Gesetz zum Warenverkauf) und dem Consumer Protection Act (Verbraucherschutzgesetz). Darüber hinaus existieren zahlreiche produkt- und marktspezifische Vorschriften. Aufgrunddessen wird angeraten, Rechtsbeistand einzuholen. Nur so kann sichergestellt werden, dass in Übereinstimmung mit allen anwendbaren produkthaftungsrechtlichen Regelungen gehandelt wird. Diese müssen bei der Anwendung stets beachtet und berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die auf Marktgebieten tätig sind, die mit einem hohen Risiko verbunden sind, so wie beispielsweise im Bereich des Gesundheitswesens. Oftmals sind Gewährleistungen und Garantieleistungen des Produktherstellers gesetzlich vorgeschrieben und finden auch in Geschäftsbeziehungen implizit Anwendung, selbst wenn solche Garantien im eigentlichen Vertrag zwischen den Parteien nicht explizit ausgehandelt worden sind.

Auch wenn der Wortlaut teilweise variiert, gibt es ein allgemeines Prinzip, welches sich als Leitgedanke in den gesetzlichen produkthaftungsrechtlichen Regelungen wiederfindet: der Verkäufer (und in diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Ausdruck „seller“ im Englischen oft sehr weit ausgelegt wird) muss sicherstellen, dass die betreffenden Produkte in der vertraglich vereinbarten Menge, Qualität und Beschaffenheit geliefert werden und dass sie in der Art und Weise verpackt sind, wie es im Vertrag beschrieben ist. Zudem müssen die Güter für den normalen Gebrauch oder für jeden speziellen Zweck, der dem Verkäufer vorher bekannt war, geeignet sein. Zu berücksichtigen ist, dass sowohl der International Sale of Goods Act als auch der Sale of Goods Act es den Vertragsparteien erlaubt, die gesetzlichen Gewährleistungspflichten des Verkäufers vertraglich auszuschließen. Diese Möglichkeit besteht allerdings nicht, sofern Konsumgüter betroffen sind. Der Consumer Protection Act verbietet es ausdrücklich, den Verkäufer von seinen gesetzlich vorgeschriebenen Gewährleistungspflichten vertraglich freizustellen.

Das Gebiet des Konsumgüterrechts stellt eine der Hauptüberschneidungen hinsichtlich der Kompetenzverteilung zwischen Bundesstaat und den Provinzen dar. Diesbezüglich ist insbesondere auf den im Jahr 2011 in Kraft getretenen Canada Consumer Product Safety Act (Kanadisches Konsumgütersicherheitsgesetz) hinzuweisen. Durch dieses Gesetz wurden auf bundesstaatlicher Ebene detaillierte Rahmenbedingungen bezüglich der Offenlegungs- und Produkthaftungspflichten geschaffen. Aufgrund der Spezialität und Komplexität dieses Gesetzes, sowie des Konsumgüterhaftungsrechts insgesamt, wird hierauf im Folgenden nicht vertieft eingegangen. Der vorliegende Artikel soll in erster Linie einen Überblick über das kanadische Produkthaftungsrecht vermitteln.

Vertragliche Produkthaftungspflicht

Eine vertragliche Produkthaftungspflicht entsteht lediglich durch eine entsprechende Vereinbarung zwischen den Parteien. Damit ein vertraglicher Haftungsanspruch begründet wird, muss das Produkt mit einem Fehler behaftet sein, der zum einen unter die Definition der stillschweigend oder ausdrücklich in die Vereinbarung aufgenommenen Mängelgarantie fällt und zum anderen auch tatsächlich die geltend gemachten Schäden verursacht hat. Bei der Ausarbeitung eines entsprechenden Geschäftsvertrages ist es deshalb wichtig darauf zu achten, dass sich die Herstellergarantien und Haftungsbeschränkungen auch in allen Verträgen – bis hin zu denjenigen mit dem Endveräußerer – wiederfinden lassen.

Deliktische Haftung („tort liability“)

Die deliktische Haftung im Produkthaftungsrecht („tort“) basiert im Common Law auf dem Prinzip, dass derjenige, der Güter in den Verkehr bringt, eine angemessene Sorgfalt für Risiken aus diesen Gütern walten lassen muss. Der Sorgfaltsmaßstab hängt dabei von dem entsprechenden Produkt, den vorhersehbaren Risiken und der Position, an der die Partei in der Verkaufskette steht, ab. Nach Ansicht der Rechtsprechung besitzt der Hersteller die besten Kenntnisse über sein Produkt und hat deshalb die Pflicht, den Endnutzer über potentielle Risiken, die sich mit dem Produkt in Verbindung bringen lassen, aufzuklären. Diese Pflicht gilt insbesondere dann, wenn dem Produkt ein besonderes Gefährdungspotential anhaftet. Die Provinz Ontario verfügt über kein strenges Haftungsregime („strict liability“) im „tort law“, sodass die Beweislast für einen Defekt am Produkt, sowie die Pflicht zum Nachweis der Kausalität und des Schadensausmaßes stets der Kläger zu tragen hat.

Schadenersatz – Kanada ist nicht die USA

Hinsichtlich möglicher Schadenersatzansprüche können Kläger sowohl Ersatz für Vermögens- (z.B. Kosten für die Mängelbeseitigung, entgangener Gewinn), als auch für Nicht-Vermögensschäden (z.B. Schmerzensgeldansprüche) einfordern. Zudem besteht unter bestimmten Umständen die Möglichkeit, „punitive damages“ (Strafzuschläge, die zusätzlich zum Schadensersatz zugesprochen werden) oder „exemplary damages“ (Geldzahlungen mit Beispielscharakter, die über die eigentliche Kompensation hinausgehen) geltend zu machen.

Allerdings ist diesbezüglich zu berücksichtigen, dass die Gerichte in Ontario, auch wenn sie punitive oder exemplary damages zulassen, hinsichtlich deren Höhe deutlich hinter den Summen zurückbleiben, die regelmäßig von US-Gerichten zugesprochen werden. So sollen beispielsweise nach Ansicht der Rechtsprechung punitive damages nicht schon bei einfacher Fahrlässigkeit, sondern nur dann gewährt werden, wenn Beweise über arglistige, rücksichtslose oder willkürliche Handlungen vorliegen, die zu einem entsprechenden Schaden geführt haben. Zudem sind in dieser Provinz Gerichtsverhandlungen vor einer Jury, anders als in den USA, nicht das Standardverfahren für Fälle im Produkthaftungsrecht.

Möglichkeit der Klagabwehr

Das Rechtssystem in Ontario stellt dem Beklagten im Produkthaftungsrecht zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung, um eine Klage juristisch abzuwehren. So liegt die Beweislast bzgl. der Fehlerhaftigkeit des Produktes und bzgl. des daraus resultierenden Schadens zunächst beim Kläger. Zudem kann eine Haftung des Herstellers aus verschiedenen anderen Gründen ausgeschlossen sein, beispielsweise aufgrund einer freiwilligen Risikoübernahme oder aufgrund eines Mitverschuldens des Produktnutzers. Schließlich kann gegen Ansprüche im Produkthaftungsrecht die Einrede der Verjährung geltend gemacht werden, sofern der Geschädigte nicht innerhalb von zwei Jahren, nachdem er von den anspruchsbegründenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat oder Kenntnis hätte erlangen müssen, Klage erhoben hat.

Produkthaftungsversicherung

Abschließend sollte noch erwähnt werden, dass die meisten Hersteller eine Produkthaftungsversicherung abschließen. Die Wahl einer entsprechenden Versicherung sollte sorgsam getroffen werden, sodass alle haftungsrechtlichen Risiken abgedeckt und Lücken im Versicherungsschutz vermieden werden. Dies insbesondere deshalb, da viele Versicherungspolicen wesentliche Haftungsausnahmen hinsichtlich der Abdeckung der vertraglichen Produkthaftung vorsehen. Auch sollte überprüft werden, ob der Versicherungsschutz auf bestimmte Länder oder gerichtliche Zuständigkeitsgebiete begrenzt ist.

Stand: Dezember 2015

Empfehlung

Wenn Sie Vermögen in Kanada haben, sollten Sie sich frühzeitig mit der Rechtslage vertraut machen und mittels letztwilliger Verfügung – unter Beachtung der jeweiligen Formvorschriften für deren Wirksamkeit – entsprechende Regelungen treffen. Nur so vermeiden Sie unliebsame Überraschungen.
Zögern Sie nicht, Herrn Kevin A. Johnson (office@knorr.ag) anzusprechen.