Das kanadische Erbrecht im Überblick

(Verfasst im Februar 2019) Das Erbrecht ist in Kanada nicht bundeseinheitlich geregelt. Maßgebend sind grundsätzlich – ausgenommen von Grundvermögen – die Regelungen der jeweiligen Provinz, in der der verstorbene Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte. Die erbrechtlichen Regelungen der Provinzen unterscheiden sich aber nicht grundlegend voneinander. Hier soll nur ein grober Überblick gegeben werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die folgende Darstellung behandelt schwerpunktmäßig das Erbrecht in Ontario und Québec.

Autor:
Rechtsanwältin Nadja Sonnentag KNORR Rechtsanwälte AG München und Ulm, Deutschland
E-Mail: nadja.sonnentag@kanadischesrecht.de

Co-Autoren:
RAin Taya Talukdar, LETTE LLP | Toronto
RAin Luise Bauer, LETTE & Associés S.E.N.C.R.L. | Montreal

RAin Nadja Sonnentag zu Erbrecht in Kanada

RAin Nadja Sonnentag

RAin Luise Bauer

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RAin Taya Talukdar RAin Nadja Sonnentag zu Erbrecht in Kanada

RAin Taya Talukdar

Anwendung des Erbrechts und Rechtswahl

Welche erbrechtlichen Regelungen eines Staates bei einem Erbfall mit Auslandsberührung zur Anwendung kommen, richtet sich nach dem internationalen Privatrecht, auch Kollisionsrecht genannt. Seit 17.08.2015 gilt in Deutschland die Europäische Erbrechtsverordnung 650/2012. Die darin enthaltenen Kollisionsnormen gelten auch im Falle eines Erbfalls mit Bezug zu einem Drittstaat (universelle Anwendung, Art. 20 EU-ErbVO). In Kanada enthält das Recht jeder kanadischen Provinz eigene Regelungen zum Kollisionsrecht. Für die Provinz Québec findet sich die erbrechtliche Kollisionsregelung in Art. 3098 Code Civil, für Ontario in Art. 36 ff. Succession Law Reform Act.

Das Kollisionsrecht der kanadischen Provinzen unterscheidet zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen des Erblassers. Bei unbeweglichem Vermögen kommt das Recht des Staates zur Anwendung, in dem sich das Grundstück befindet. Das bewegliche Vermögen des Erblassers unterliegt dem Recht des Staates, in dem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte. Es gilt das Prinzip der Nachlassspaltung.

Die EU-Erbrechtsverordnung bestimmt einheitlich für den gesamten Nachlass, welches nationale Erbrecht zur Anwendung kommt. Es gilt der Grundsatz der Nachlasseinheit. Anders als das Kollisionsrecht der kanadischen Provinzen wird hier nicht zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterschieden. Es kommt gemäß Art. 21 EU-ErbVO grundsätzlich für das gesamte Nachlassvermögen das Recht des Staates zur Anwendung, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Auf seine Staatsangehörigkeit kommt es nicht mehr an.

Lebte der Erblasser z.B. zuletzt in Deutschland und hatte er in einer der kanadischen Provinzen ein Grundstück, würde ein deutsches Gericht für das gesamte Vermögen des Erblassers – einschließlich des Grundstücks in Kanada – deutsches Erbrecht anwenden. Nach dem Kollisionsrecht der kanadischen Provinzen würde hingegen für das Grundstück in Kanada das Erbrecht der kanadischen Provinz zur Anwendung kommen, in dem sich das Grundstück befindet.

Der Erblasser kann aber in seiner letztwilligen Verfügung mittels einer Rechtswahl auf das anzuwendende Recht Einfluss nehmen: Nach Art. 22 EU-ErbVO kann man für die Rechtsnachfolge von Todes wegen anstelle des Rechts des Staates seines letzten gewöhnlichen Aufenthalts, das Recht der eigenen Staatsangehörigkeit wählen. So kann z.B. ein in Kanada lebender Deutscher bestimmen, dass deutsches Recht zur Anwendung kommen soll. Auch in einigen kanadischen Provinzen wird ihm die Möglichkeit eingeräumt, eine vom Gesetz abweichende Rechtsordnung anzuordnen. Er kann z.B. nach Art. 3098 Code Civil von Québec testamentarisch festlegen, ob auf seinen Erbfall anstelle des Rechts seines letzten gewöhnlichen Aufenthaltsorts das Recht seiner Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Rechtswahlausübung oder zum Zeitpunkt seines Todes zur Anwendung kommen soll. Für Grundvermögen kann er auch hier das Provinzrecht, in dem sich dieses befindet, wählen. Nach dem Recht der Provinz Québec bleibt die Rechtswahl allerdings außer Betracht, sofern der überlebende Ehegatte oder ein Kind des Erblassers dadurch in seinem Erbrecht wesentlich beschränkt wird.

Internationale Zuständigkeit

Nach der internationalen Zuständigkeit beurteilt sich die Frage, bei welchem Gericht ein Nachlassverfahren durchzuführen ist. Die internationale Zuständigkeit in Nachlasssachen richtet sich nach Art. 4 EU-ErbVO. Zuständig ist das Gericht in dem Mitgliedsstaat der EU, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die Zuständigkeit betrifft den gesamten Nachlass. Befinden sich Nachlassgegenstände in Drittstaaten, wie z.B. in Kanada, können die Parteien in einem Nachlassverfahren nach Art. 12 EU-ErbVO den Antrag stellen, dass das Gericht nicht über diese, in einem Drittstaat belegenen Nachlassgegenstände befindet.

War der Verstorbene deutscher Staatsbürger, hatte aber seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Kanada, fehlt es an der Zuständigkeit eines deutschen Gerichts. Nach Art. 10 EU-ErbVO gibt es aber eine subsidiäre Zuständigkeit, sofern sich in Deutschland Nachlassgegenstände befinden. Sofern im Beispielsfall zum Nachlassvermögen ein Grundstück in Deutschland gehört, ist danach das Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich sich das Grundstück befindet, für den gesamten Nachlass zuständig. Hatte der Erblasser hingegen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit und lebte er nicht innerhalb von 5 Jahren vor seinem Tod in Deutschland, ist das deutsche Gericht nicht für den gesamten Nachlass, sondern nur für das in Deutschland vorhandene Nachlassvermögen zuständig.

Nach Art. 7 Estates Act der Provinz Ontario ist ein Gericht in Ontario international zuständig, sofern der Verstorbene in Ontario zuletzt gewohnt hat oder wenn in Ontario Immobilien vorhanden sind, die zum Nachlassvermögen gehören. Auch nach Art. 613 CCQ von Québec ist das Gericht zur Frage der Wirksamkeit eines Testaments zuständig, wo der Verstorbene seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

gesetzliche Erbfolge nach dem Recht der kanadischen Provinzen

Im Recht der kanadischen Provinzen richtet sich die gesetzliche Erbfolge, wie auch nach deutschem Recht, nach dem Verwandtschaftsverhältnis. Kinder schließen das Erbrecht der Eltern des Erblassers und diese wiederum das Erbrecht von Geschwistern und entfernteren Verwandten des Erblassers aus. In einigen Provinzen Kanadas erhält der überlebende Ehe-gatte einen bestimmten Mindestbetrag, den sogenannten „preferential share“. In Ontario z.B. wurde dieser auf CAD 200.000,– festgesetzt (Art. 45 Succession Law Reform Act). Die darüber hinausgehende Erbmasse wird zwischen dem Ehegatten und den anderen gesetzlichen Erben geteilt.

Das Provinzrecht von Québec sieht einen „preferential share“ für den überlebenden Ehegat-ten nicht vor. Hier erbt der überlebende Ehegatte neben den Kindern 1/3 des Nachlasses (Art. 666 Civil Code). Sind solche nicht vorhanden, erben neben dem Ehegatten die Eltern, nachrangig die Geschwister des Erblassers. In diesem Fall erhält der überlebende Ehegatte nach Art. 672 Civil Code of Québec 2/3 des Nachlasses.

letztwillige Verfügungen

Der Erblasser kann mittels letztwilliger Verfügung von der gesetzlichen Erbfolge abweichen. In allen Provinzen Kanadas anerkannt ist ein schriftlich errichtetes und neben dem Erblasser von mindestens zwei Zeugen unterschriebenes Testament. Als Zeuge kommen dabei nur Personen in Betracht, die im Testament nicht vom Erblasser bedacht werden. Zuwendungen an Zeugen sind unwirksam, lassen die Wirksamkeit des Testaments im Übrigen aber unbe-rührt (Art. 760 Civil Code von Québec, Art. 12 Succession Law Reform Act von Ontario). Daneben besteht in den meisten Provinzen Kanadas, so z.B. auch in Québec und Ontario, die Möglichkeit, dass der Erblasser das Testament handschriftlich verfasst und eigenhändig un-terschreibt (Art. 726 Civil Code von Québec, Art. 6 Succession Law Reform Act von Ontario). In diesem Fall bedarf es keiner Zeugen. In Québec kann ein Testament auch notariell errichtet werden (Art. 716 ff. Civil Code).

Ein Pflichtteilsrecht, wie im deutschen Erbrecht, kennt das Erbrecht der kanadischen Provin-zen nicht. Nach Art. 57 ff. Succession Law Reform Act von Ontario („Support of Depen-dants“) können aber nahe Familienangehörige, die vom Erblasser zu Lebzeiten finanzielle Unterstützung erhalten haben, unter bestimmten Umständen angemessenen Unterhalt aus dem Nachlass verlangen. Ähnliche Regelungen finden sich in Art. 684 ff. Civil Code für Québec.

Nachlassverwaltung und Auseinandersetzung

Nach dem Recht der meisten kanadischen Provinzen erwerben die Erben den Nachlass nicht automatisch mit dem Tod des Erblassers. Vielmehr geht das gesamte Eigentum des Erblassers zunächst auf einen Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter über. Er hält den Nachlass treuhänderisch für die Erben. Eine Vermehrung des eigenen Vermögens ist damit nicht verbunden; er darf die Eigentumsrechte nicht im eigenen Interesse nutzen. Dieser „es-tate trustee“ oder auch „executor“ (in Québec „liquidator“) genannt, kann bereits vom Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung bestimmt werden.

In Ontario hat der Testamentsvollstrecker beim Gericht am letzten Wohnsitz des Erblassers grundsätzlich eine Testamentsbestätigung (Certificate of Appointment of Estate Trustee with a Will) zu beantragen. Ausnahmen davon gibt es z.B. bei einem geringen Nachlasswert oder bei entsprechender Zustimmung der Banken, bei denen der Erblasser Konten führte. Gleichzeitig mit dem Antrag auf Testamentsbestätigung hat der Testamentsvollstrecker eine „Estate Administration Tax“ zu bezahlen. Die Höhe richtet sich nach dem Wert des Nachlasses.

Hat der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung keinen Testamentsvollstrecker bestimmt oder kein Testament errichtet, hat in Ontario das Gericht einen Nachlassverwalter zu bestimmen. Mit seiner Ernennung geht das Vermögen des Erblassers treuhänderisch auf ihn über. Nach dem Provinzrecht von Ontario muss der Nachlassverwalter seinen Wohnsitz in Ontario haben. Er hat beim Gericht grundsätzlich eine Kaution zu hinterlegen. Hat der Erblasser kein Testament errichtet und wird der Nachlass von niemand verwaltet, wird das „Office of the Public Guardian and Trustee“ eingeschaltet.

In Québec verwalten die Erben den Nachlass selbst, wenn der Erblasser in einer letztwilligen Verfügung keinen Testamentsvollstrecker benannt hat. Sind keine Erben bekannt wird der Nachlass vom „Revenu Québec“ verwaltet. Gibt es mehrere Erben, haben sie einen Erben oder eine dritte Person zum Verwalter („liquidator“) zu bestimmen. Können sie sich nicht auf eine Person einigen, wird diese auf Antrag vom Gericht bestimmt. Der Verwalter hat auch in Québec einige Formalitäten einzuhalten und z.B. seine Einsetzung im Provinzregister bekannt zu machen. Anders als in Ontario hat der Verwalter in Québec grundsätzlich keine Sicherheit zu leisten. Nach Art. 784 Civil Code kann jeder, ausgenommen der Alleinerbe, seine Bestellung zum Verwalter ablehnen.

Sowohl der Testamentsvollstrecker als auch der Nachlassverwalter haben den Nachlass in Besitz zu nehmen, mit diesem die bestehenden Verbindlichkeiten zu erfüllen, Vermächtnisansprüche zu erfüllen und das verbleibende Vermögen an die Erben zu verteilen. Zur Ermitt-lung der Gläubiger des Erblassers hat der Nachlassverwalter bzw. der Testamentsvollstrecker die Gläubiger mittels öffentlicher Bekanntmachung aufzufordern, ihre Forderungen geltend zu machen. Bei der Verteilung des verbleibenden Nachlasses überträgt der Nachlassverwalter bzw. der Testamentsvollstrecker das Eigentum an die Erben. Bei Pflichtverletzungen haften sie gegenüber den Gläubigern und den Erben persönlich.

Mit Ausnahme des Provinzrechts von Québec, fallen Gesamthandseigentum (joint tenancy), gemeinsame Bankkonten oder Zuwendungen an benannte Begünstigte, z.B. Lebensversicherungen, nicht in den Nachlass. Diese Vermögensteile gehen direkt mit dem Erbfall auf den oder die verbleibenden Miteigentümer bzw. Mitinhaber über. Nach dem Provinzrecht von Québec wird Gesamthandseigentum wie sonstiges Eigentum behandelt. Bei gemeinsamen Bankkonten wird davon ausgegangen, dass jedem Mitinhaber das Guthaben anteilig zusteht.

Besteuerung

In Kanada gibt es keine Erbschaftsteuer. Das Erbe ist auf Basis des kanadischen Einkommensteuergesetzes als Kapitalgewinn zu versteuern. Der Erbfall wird einer Veräußerung gleichgestellt. Hatte der Erblasser in Kanada seinen letzten Wohnsitz, umfasst die Besteuerung das Weltvermögen des Erblassers. Ansonsten unterliegt nur das in Kanada belegene Vermögen der Besteuerung. Nur 50% des Nachlasses ist zu versteuern. Berechnungsgrund-lage der „Capital Gains Tax“ ist der tatsächliche Marktwert. Der Steuersatz beträgt zwischen 17% und 29%. Die jeweils betroffene Provinz erhebt zusätzliche Steuern, so dass die Steuerbelastung insgesamt bis zu 50% betragen kann. Die Steuer ist vom Nachlassverwalter bzw. vom Testamentsvollstrecker abzuführen. Ausgenommen von der Besteuerung ist der Erbteil, der an den in Kanada ansässigen überlebenden Ehegatten fällt.

Im deutsch-kanadischen Doppelbesteuerungsabkommen ist die Erbschaftsteuer nicht gere-gelt. Es kann daher zu einer doppelten Steuerbelastung kommen. Die in Kanada zu zahlende „Capital Gains Tax“ ist nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26.4.1995, II R 13/92 nicht auf die deutsche Erbschaftsteuer anrechenbar. In der Regel ist sie jedoch als Nachlassverbindlichkeit bei der Berechnung der deutschen Erbschaftsteuer zu berücksichtigen.

Empfehlung

Wenn Sie Vermögen in Kanada haben, sollten Sie sich frühzeitig mit der Rechtslage vertraut machen und mittels letztwilliger Verfügung – unter Beachtung der jeweiligen Formvorschriften für deren Wirksamkeit – entsprechende Regelungen treffen. Nur so vermeiden Sie unliebsame Überraschungen. Zögern Sie nicht, Frau Rechtsanwältin Nadja Sonnentag von KNORR Rechtsanwälte AG (Tel. +49 (0)89 29 00 370, E-Mail: office@knorr.ag) anzusprechen. Selbstverständlich stehen wir Ihnen auch zur Verfügung, wenn Sie an einem Erbfall beteiligt sind, bei dem sich Nachlassvermögen in Kanada befindet.